Erfahrensberichte zum Myopie Management

Hier sollen Erfahrensberichte mit der Myopiekontrolle veröffentlicht werden, die auch viele Eltern und Betroffene animieren sollen aktiv zu werden, wenn Kinder und Jugendliche kurzsichtig werden. Es soll hier keine Angst gemacht werden, eben nur wachgerüttelt!

Robert Fetzer: ” Wenn ich meine Schwägerin sehe, die über -12,00 Dioptrien hat, in einem Alter ist, wo normalerweise ein Fortschreiten nicht mehr gegeben ist, aber durch Ihre Arbeit täglich mindestens 8-10 Stunden im PC verbringt, und dadurch bis zum 34. LJ weiter ging. Und die ersten Schäden an einem Auge sind aufgetreten. Leider kamen für Sie die Möglichkeiten einer Myopiekontrolle zu spät! Lassen also Sie Ihre Kinder nicht stärker Kurzsichtig werden! Es geht um die Gesundheit der Augen!”

Der erste Bericht der hier aufgeführt wird kommt aus Hamburg von Frau Marion Hamatschek, vom 15.04.2018

Gedanken zur Myopiekontrolle oder „Der nicht immer einfache Umgang mit den psychischen Befindlichkeiten myoper Eltern myoper Kinder“

Als augenoptisch Interessierte und selbst von höherer Kurzsichtigkeit Betroffene bin ich fasziniert von den Möglichkeiten, die es heute gibt, dem starken Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern entgegenzuwirken. Gleichzeitig habe ich aber auch Verständnis für Eltern, die zunächst skeptisch und zurückhaltend bis ablehnend reagieren, wenn ihnen solche Möglichkeiten für ihr Kind aufgezeigt werden. Meine Kinder sind inzwischen Anfang bis Mitte 20 und – trotz zweier myoper Elternteile – glücklicherweise nur mäßig kurzsichtig geworden (bei drei Töchtern und somit sechs Augen hat lediglich ein Auge eine Kurzsichtigkeit von über -4 Dioptrien erreicht). Ich habe vor einiger Zeit interessehalber den Myopiacare-Fragebogen bearbeitet (ausgehend von der Situation meiner Kinder, als sie in dem entsprechenden Alter waren) und bin auf ein durchweg hohes Risiko gestoßen – wir haben also wirklich Glück gehabt! Ich habe mich oft gefragt, wie ich als Mutter reagiert hätte, wenn die Situation ungünstiger gewesen wäre, wenn also die Kurzsichtigkeit bei meinen Töchtern nicht erst mit 10 oder 11 Jahren, sondern schon im Grundschulalter aufgetreten wäre, und dann eventuell noch mit einer heftigen Progression. Was wäre z.B. gewesen, wenn eine oder mehrere meiner Töchter mit acht Jahren schon Werte von um die -4 Dpt. gehabt hätten, oder auch nur die -2 Dpt., die ich in dem Alter hatte? Myopiekontrolle im heutigen Sinn gab es noch nicht, zumindest war mir nichts Derartiges bekannt. Was ich wusste, war, dass man bei formstabilen Kontaktlinsen einen positiven Einfluss auf die Progression vermutete und dass manche Fachleute der Meinung waren, man solle die Myopie bei Kindern nicht voll auskorrigieren. Formstabile Linsen hätten zwar ein großes Loch in die Familienkasse gerissen, erst recht, wenn alle Drei betroffen gewesen wären, wären aber im Prinzip eine Option gewesen. Für eine Unterkorrektion hätte ich mich dagegen nur schwer erwärmen können wegen der eigenen leidvollen Erfahrung aus meiner Schulzeit, da meine normalsichtigen, beruflich stark eingespannten Eltern keinerlei Sensibilität für die Notwendigkeit regelmäßiger Augenarztbesuche hatten und es mir zu peinlich war, ihnen zu gestehen, dass ich an der Tafel schon wieder nichts mehr erkennen konnte. Nun, da ich mich – leider nicht in der Praxis, wohl aber gedanklich – sehr stark mit den aktuell zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eines Myopie-Managements befasse, wird mir die Ambivalenz klar, die ich als Mutter in dieser Situation empfunden hätte. Zum einen wäre da natürlich die Freude darüber gewesen, dass man nicht tatenlos zusehen muss, wie das Kind immer kurzsichtiger wird, sondern dass es gute Chancen gibt, die Progression zu verlangsamen und zu vermindern, um am Ende bei moderaten Werten stehen zu bleiben. Ein Ziel, für das sich die Anstrengungen auf jeden Fall lohnen würden. Aber da wären noch ganz andere Gedanken in mir gewesen, fußend auf meiner eigenen Myopie-Geschichte. In meinem durchweg normalsichtigen Umfeld, in dem niemand mit Kurzsichtigkeit etwas anfangen konnte, wurde das Thema größtenteils totgeschwiegen, ich wurde zwar nicht gehänselt oder sonstwie schlecht gemacht, aber auch nicht ermutigt, meine Brille zu tragen. Ich bekam ab und zu eine neue Brille, die ich mich aber – außer im Schulunterricht – nicht zu tragen getraute und mogelte mich ansonsten irgendwie durch. Ein Selbstbewusstsein oder einfach nur das Gefühl, dass auch ein kurzsichtiger Mensch vollkommen ok ist, konnte ich damals nicht entwickeln. Erst mit 17, als ich den Führerschein machen wollte und mir meine Eltern Kontaktlinsen erlaubten, begann ich diese Scham langsam, ganz langsam abzulegen. Nach einigen Jahren mit Kontaktlinsen war ich endlich so weit, dass ich mich auch zur Brille bekennen konnte und diese (bzw. die dadurch deutlich erkennbare Kurzsichtigkeit) zu einem Teil meiner Persönlichkeit wurde – alles in allem eine Entwicklung, die Jahrzehnte dauerte. Auf Grund dieser meiner Erfahrungen waren nun tatsächlich meine ersten Gedanken, als ich mit Myopiekontrolle in Berührung kam: Wollen wir uns hier eine Welt schaffen, in der Myopie keinen Platz mehr hat, in der Leute wie ich ein Auslaufmodell sind und in der man sich künftig für seine Kurzsichtigkeit rechtfertigen muss? Wollen wir wirklich das perfekte Designerkind haben? – Zahnspange für das perfekte Gebiss, auch wenn keine Beeinträchtigungen, sondern nur leichte Schönheitsfehler vorliegen, leicht abstehende Ohren auf jeden Fall operieren, und natürlich muss das Kind normalsichtig sein! Wird ein Mensch, der so aufgewachsen ist , nicht auch mit der größten Selbstverständlichkeit sämtliche Kleinigkeiten, die ihm an seinem Körper nicht gefallen, per OP korrigieren lassen? Wird er überhaupt irgendwann glücklich sein können und zufrieden mit sich und seinem Aussehen oder wird er doch immer wieder Dinge an sich entdecken, die in seinen Augen nicht perfekt sind? Ich weiß, das alles ist übertrieben und überspitzt ausgedrückt – aber es wäre mir damals tatsächlich sehr wichtig gewesen, meinem Kind mit aller Deutlichkeit zu signalisieren, dass seine Kurzsichtigkeit weder ein Makel noch eine schwere Krankheit ist. Ich hätte als Mutter die große Befürchtung gehabt, dass mein Kind das Gefühl bekommt, man wolle diese Behandlung mit ihm machen, weil mit ihm irgendetwas nicht in Ordnung sei. Ich hätte mich damals auch gefragt, ob ein Kind, das schon in jungen Jahren mit Kontaktlinsen versorgt wird (und davon ja nicht normalsichtig wird, sondern wohl ein gewisses Maß von Kurzsichtigkeit behalten wird), ein Selbstbewusstsein als myoper Mensch aufbauen kann oder die Kurzsichtigkeit ausschließlich als einen zu bekämpfenden Makel und eine Gefahr ansieht. Bei mir ist es so, dass mir nach reiflicher Überlegung klar geworden ist, dass ich heute um keinen Deut glücklicher wäre, wenn es zu meiner Zeit schon Myopiekontrolle gegeben hätte und ich somit signifikant weniger kurzsichtig wäre als ich es bin. Aber aus damaliger Sicht betrachtet wäre mir auf jeden Fall Einiges erspart geblieben. Nach ausführlicher Beschäftigung mit der Thematik bin ich inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass Myopie-Management eine gute und wichtige Sache ist, die noch viel mehr Verbreitung finden sollte. Vor allem der erste Präventionsschritt – ausreichend Aufenthalt im Freien – ist ja bestechend einfach und ohne großen Aufwand (und ohne Nebenwirkungen!) umsetzbar. In Anbetracht der mit einer starken Kurzsichtigkeit verbundenen Risiken bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass idealerweise jedes kurzsichtige Kind – nach sorgfältiger Abwägung der Notwendigkeit durch den Fachmann – bei Bedarf mit Maßnahmen, die der weiteren Progression entgegenwirken können, versorgt werden sollte. Ich finde es wunderbar, dass es Fachleute gibt, die mit viel Idealismus, Engagement und Einfühlungsvermögen nach der für ihre kleinen Kunden/Patienten besten Lösung suchen, und wünsche mir, dass noch viel mehr Augenärzte, Optometristen, Orthoptisten und Augenoptiker (sollte ich einen Berufsstand vergessen haben, bitte ich um Nachsicht) aufgeschlossener werden gegenüber Maßnahmen zur Myopiekontrolle und ihren Kunden bzw. Patienten Myopie-Management anbieten, indem sie seriös den Bedarf ermitteln und gegebenenfalls mit der nötigen Sensibilität und Rücksicht auf die psychischen Befindlichkeiten von Eltern und Kind ihre Überzeugungsarbeit zum Wohle des betroffenen Kindes leisten! Sollte ich irgendwann Enkelkinder haben und eins davon meine Kurzsichtigkeit geerbt haben, werde ich meinen Kindern auf jeden Fall raten, sich über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu informieren und sie ggf. zu nutzen.

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